Virtuell und überraschend

Ins Museum gehen die meisten Menschen, um sich von der Aura des Originals einfangen zu lassen. Aber auch virtuelle Ausstellungen können eine besondere Ausstrahlung entwickeln.

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Warum eigentlich lassen sich tausende von Besucherinnen und Besuchern täglich durch die Sixtinische Kapelle schleusen mit der Aussicht auf einen hektischen Deckenblick, der spätestens nach einer Minute von der rabiaten Aufforderung der Aufseher unterbrochen wird, unverzüglich weiterzugehen? Beim Wettbewerb Michelangelo versus Massentourismus hat die Aura des Originals kaum eine Chance. Sie wird eingehegt von Organisationsfragen: Besucherführung, Zeitslot-Management, Sicherheitsbestimmungen, Öffnungszeiten. Die intensive persönliche Begegnung mit Werken, die zum ikonischen Erbe der Menschheit zählen, wird unter diesen Umständen zum flüchtigen Tinder-Date.

Aber es gibt technische Alternativen: hochaufgelöste Scans mit vielfacher Zoomfunktion, virtuelle Rundgänge am Bildschirm, Augmented-Reality-Anwendungen. Der Kunst kann man mit diesen Hilfsmitteln oft deutlich näher auf die Pelle rücken als das im Museum möglich ist. Und die Aura des Originals, der Reiz des Authentischen? Geht das nicht verloren? Oder lässt es sich in digitale Welten übertragen?

In der digitalen Welt steht virtuell dafür, dass etwas nur dem Anschein oder der Wirkung nach vorhanden ist. Es existiert also nicht physisch, sondern als (Computer-)Simulation.

Augmented Reality (AR) bedeutet so viel wie „erweiterte Realität“. Dabei werden mit Hilfe von Bildschirmen oder speziellen Brillen digitale Elemente in die reale Welt eingefügt. In den Augen des Betrachters überlagern sich virtuelle Informationen mit der echten Umgebung.

 

Dr. Dennis Niewerth vom Bochumer Institut für Medienwissenschaft hat sich in seiner Doktorarbeit mit dieser Frage beschäftigt. Seine zugespitzte These: Auch ein Museum ist bereits eine hochvirtuelle Angelegenheit. „Man kann argumentieren, dass die Aura nichts ist, was das Kunstwerk aus seiner historischen Entstehung heraus mitbringt, sondern ein Produkt davon, wie es in der Gegenwart inszeniert wird“, sagt Niewerth. Letztendlich also liegt die Aura im Auge des Betrachters, der Betrachterin.

Unter diesen Voraussetzungen könnte eine (gar nicht mal so ferne) Zukunft der Museen tatsächlich im virtuellen Raum liegen. Dort besuchen wir dann das Gebiet zwischen Euphrat und Tigris, um der Zivilisation bei ihrer Entstehung zuzuschauen. Wir erleben Kriege und Katastrophen, wegweisende Umbrüche und Sternstunden der Menschheit, wir reisen zurück ins Jahr unserer Geburt, flanieren auf den Straßen des Alten Rom zu seiner Blütezeit oder tauchen ein in fantastische Traumwelten.

Womöglich werden solche Erfahrungen eines Tages unseren Alltag prägen. Die Gegenwart ist weniger spektakulär, dafür aber überraschend originell. Besuchen Sie mit uns ein paar dieser virtuellen Museen und Ausstellungen.

Das Ringelblum-Archiv

zeigt eine Innensicht des Warschauer Ghettos aus jüdischer Perspektive – mit Tagebucheinträgen und Interviews. Eine Ausstellung des NS Dokumentationszentrums München

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Das Malware Museum

ist eine Sammlung von Viren und anderen schädlichen Programmen, die in den 1980er und 1990er Jahren für Heim-PCs im Umlauf waren. Lustige Meldungen und Animationen für echte Computer-Nerds (nur auf Englisch). Und keine Sorge: Die Viren wurden unschädlich gemacht.

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Four Miles – Miles Davis

ist eine rein virtuelle Ausstellung, in der die Musik der Jazz-Legende eindrucksvoll in Szene gesetzt wird. Also: Kopfhörer auf und eintauchen in die Klangwelt von Miles Davis!

Zu Four Miles

Das virtuelle Museum der Migration

dokumentiert die Geschichten von mehr als 50 Bremer Arbeitsmigrant*innen, die Mitte des 20. Jahrhunderts als Gastarbeiter*innen nach Deutschland gekommen sind.

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Der Papstpalast von Avignon

Eines der größten gotischen Bauwerke der Welt setzt ganz auf Augmented Reality. Mit sogenannten Histopads können die Besucher*innen selbstständig auf Entdeckungstour gehen.

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Sammlung glutenfreier Kunst

Wie sähe Kunst ohne glutenhaltige Darstellungen aus? Der französische Grafiker Arthur Coulet hat die Sammlung mit einem Augenzwinkern ins Netz gestellt.

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Das Museum der zerbrochenen Beziehungen

gibt es auch offline, in Zagreb. Online lassen sich noch viel mehr Geschichten teilen – von tragisch bis komisch (nur auf Englisch).

Zum Museum der zerbrochenen Beziehungen

Haltadefinizione

Sie wollten berühmte Gemälde, zum Beispiel Botticellis Venus, immer schon mal genauer betrachten, aber das Museum ist leider zu weit entfernt? Oder zu voll? Oder man kommt nicht nahe genug an die Kunstwerke heran? Dann ist diese Sammlung hochaufgelöster Bilder das Richtige für Sie.

Zur Sammlung hochaufgelöster Gemälde