Fünf Träume der Weihnachtsgeschichte

Hätte der Zimmermann Josef aus Nazareth vor 2.000 Jahren seine Träume nur als Schäume abgetan, gäbe es das Christentum womöglich gar nicht. Die biblische Weihnachtsgeschichte verkündigt nicht nur die frohe Botschaft der Geburt des Heilands. Sie empfiehlt auch, Träume ernst zu nehmen. Uwe Birnstein ist den fünf Träumen der Weihnachtsgeschichte nachgegangen und hat dabei auch andere Träume der Bibel gefunden.

Von Uwe Birnstein

Die unglaubliche Engelsbotschaft im Traum

Weihnachts-Traum 1

Matthäus 1,20-24

Ziemlich verwirrt und verzweifelt muss Josef gewesen sein: Maria, seine Verlobte, hatte ihm überraschend mitgeteilt, sie sei schwanger – aber nicht von ihm und auch von keinem anderen Mann. Starker Tobak für den Zimmermann aus Nazareth. Er überlegte, Maria heimlich zu verlassen. Als er noch darüber nachgrübelte, erschien ihm im Traum ein Engel. Er riet ihm davon ab, Maria allein zu lassen – „denn, was sie empfangen hat, das ist vom heiligen Geist“. Josef ließ sich überzeugen, und als er „vom Schlaf erwachte, tat er, wie ihm der Engel des Herrn befohlen hatte“: Er nahm Maria zur Frau. Und er glaubte daran: Das Kind, das da in Maria heranwuchs, werde einst „sein Volk retten“, so wie der Engel es gesagt hatte. Was für eine Verheißung!

Dass Gott den Menschen in Träumen manchmal das künftige Schicksal offenbart, dürfte Josef nicht verwundert haben. Sicherlich kannte er die alte Erzählung über Jakob, der sich auf der Flucht vor seinem um den väterlichen Segen betrogenen Bruder Esau befand, als er einen sonderbaren Traum träumte. Jakob sah eine Leiter, die von der Erde bis in den Himmel ragte. Engel stiegen daran rauf und runter. Ganz oben stand Gott und verhieß ihm nicht nur unzählige Nachkommen, sondern auch absolute Treue: CIch will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe.“ (1. Mose 28, 10-22) Der Traum trog nicht: Jakob wurde zu einem der biblischen Stammväter.

Bartolomé Esteban Murillo (1618–1682), „Jakobsleiter“
akg-images / Bildarchiv Steffens

Eine Warnung an die Weisen aus dem Morgenland

Weihnachts-Traum 2

Matthäus 2,12

Gott verheißt in Träumen nicht nur Gutes. Er warnt die Menschen auch vor Gefahren. Die Weisen aus dem Morgenland hatten sich aufgemacht, den „neugeborenen König der Juden“ zu suchen. In Jerusalem fragten sie König Herodes, wo sie ihn finden könnten. Der bekam es mit der Angst zu tun: Dieser neue König könnte ihm die Macht nehmen! Die Weisen sollten ihm doch bitte Bescheid geben, wenn sie diesen „König“ gefunden hätten! Die Weisen fanden Jesus in Bethlehem und brachten ihm ihre Geschenke. Kurz vor der Abreise hatten sie einen göttlichen Traum. Der Inhalt: Sie sollten „nicht wieder zu Herodes zurückkehren“. Diese Mahnung nahmen sie ernst und wählten einen anderen Heimweg. Auf diese Weise erfuhr Herodes nicht, wo genau Jesus geboren worden war.

Traum der Heiligen Drei Könige, Initial aus dem Salzburger Missale (Ausschnitt), Band 1, Ende 15. Jh
Bayerische Staatsbibliothek, CC 1,0

Ein Engel empfiehlt Josef die Flucht

Weihnachts-Traum 3

Matthäus 2,13

In seinem Jerusalemer Palast tobte Herodes. Die Weisen hatten ihm den Ort der Geburt Jesu nicht verraten. Der König ersann einen schrecklichen Plan: Alle männlichen Säuglinge in Bethlehem wollte er töten. Dann würde auch dieses Jesuskind, sein möglicherweise bald heranwachsender Konkurrent, sterben! Josef erfuhr wiederum in einem Traum von einem Engel von der drohenden Gefahr. Der „Engel des Herrn“ riet ihm dringlich, mit Maria und Jesus nach Ägypten zu fliehen. Josef glaubte dem Engel. Er „stand auf und nahm das Kindlein und seine Mutter mit sich bei Nacht und entwich nach Ägypten und blieb dort bis nach dem Tod des Herodes“. Damit bewahrte er den Säugling Jesus vor den mordenden Soldaten des Herodes.

Rembrandt van Rijn (1606–1669), „Josephs Traum“ (1645), Öl auf Mahagniholz
Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie / Christoph Schmidt

„Ihr dürft zurückkehren!“

Weihnachts-Traum 4

Matthäus 2,19-20

Das wahnhafte Morden an den unschuldigen Kindern Bethlehems hatte erst ein Ende, als König Herodes starb. Josef, Maria und Jesus waren noch in Ägypten. Dass sich die Lage in der Heimat beruhigt hatte, erfuhr Josef erneut durch einen Traum-Engel. „Steh auf, nimm das Kindlein und seine Mutter mit dir und zieh hin in das Land Israel“, sagte der ihm. Vertrauensvoll befolgte Josef auch diesen Rat. Die heilige Familie machte sich auf die lange und beschwerliche Reise, voll begründeter Hoffnung, dass ihnen kein Unheil geschehen würde.

Giovanni Francesco Romanelli (1610–1662), „Rückkehr von der Flucht nach Ägypten“ (ca. 1635/40), Öl auf Leinwand
© Colección Carmen Thyssen-Bornemisza

Ein göttlicher Traum-Befehl

Weihnachts-Traum 5

Matthäus 2,22

Auf dem Weg zurück nach Israel erfuhr Josef, dass dem Nachfolger des Herodes nicht zu trauen sei. Josef bekam Angst: Würden er und seine Familie wirklich sicher sein? Gott kannte seine Bedenken. Im Traum befahl er Josef, Bethlehem in Judäa zu meiden und lieber gleich nach Galiläa zurückzukehren, denn dort bestünde keine Gefahr. Josef folgte Gottes Rat und ging mit Maria und ihrem Kind nach Nazareth.

Anton Raphael Mengs (1728–1779), „Traum des hl. Joseph“ (um 1773/1774), Öl auf Eichenholz
Kunsthistorisches Museum Wien, Gemäldegalerie

Die Bibel und die Träume

Josef aus Nazareth träumte ziemlich klar. Was ihm gesagt wurde, war eindeutig. Seine Träume bedurften keiner Deutung. Doch auch uneindeutige Träume kennt die Bibel. Mit denen kannte sich der Namensbruder des Josef aus: Josef, einer der Söhne des Stammvaters Jakob, er lebte rund 1.000 Jahre vor Christi Geburt. Mit seinen Träumen hatte er seine Brüder zur Rage gebracht. Josef träumte zum Beispiel von einer Garbe, die aufrecht stehenblieb, während sich elf weitere vor ihr verneigten. Ein anderes Mal verneigten sich „die Sonne, der Mond und elf Sterne“ vor ihm. Da schimpfte sogar der Vater Jakob mit dem offensichtlich an Größenwahn leidenden Josef: „Sollen denn ich und deine Mutter und deine Brüder kommen und vor dir niederfallen?“ Die Brüder Josefs verkauften ihn nach Ägypten. Dort geriet Josef in Gefangenschaft. In der Zelle machte er sich einen Namen als Traumdeuter. Zu der Zeit wurde der Pharao von seltsamen Träumen geplagt: Da waren sieben fette, dann sieben magere Kühe aus dem Nil gestiegen; außerdem wuchsen sieben Ähren auf einem Halm, und daneben standen sieben verdorrte Ähren. Die Wahrsager des Pharao wurden nicht schlau daraus. Erst, als man den Häftling Josef zur Hilfe rief, erschloss sich die Bedeutung der Träume: Zuerst werde Ägypten sieben gute Jahre erleben, dann sieben Jahre des Hungers, meinte Josef. Der Pharao war begeistert von seinen Traumdeutungskünsten und machte Josef zum Minister (1. Mose 41,1-46).

Davon, dass sich in Träumen göttliche Botschaften verbergen, war jedoch auch zu biblischer Zeit nicht jeder überzeugt. Schon damals gab es auch Scharlatane, die sich nur als Traumdeuter aufspielten. Der Weisheitslehrer Jesus Sirach zog seine Schlüsse daraus. Er hielt Träume für reine Einbildungen: „Weissagungen, Zeichendeutung und Träume sind nichts, und man sieht dabei Wahnbilder wie eine Frau in Wehen“, meint er, „Träume haben viele Menschen betrogen, und gescheitert sind, die darauf hofften“ (Jesus Sirach 34,5ff).

War Josef vielleicht nur ein Träumer?

Diese biblischen Beobachtungen werfen Fragen auf: War es wirklich richtig, dass Josef aus Nazareth seinen Träumen so vertraute? „Empfangen … vom Heiligen Geist“ – unglaublich! War Josef vielleicht doch nur ein Träumer, der sich selbst etwas einredete, um über den Gedanken hinwegzukommen, dass seine Frau fremdgegangen war? Nein, meinte der Psychotherapeut Helmut Hark (1936–2013). Der renommierte Traumberater war davon überzeugt, dass Träume tatsächlich eine übernatürliche Dimension haben: „Im Traum erkennt Josef, dass Gott neue Wirklichkeiten schaffen kann, die aber der Mensch aufgreifen muss, damit sie möglich werden können. Josef war alles andere als ein Träumer. Er war ein Mann, der auf Gott zu hören gelernt hatte. Der Traum weckt ihn zu einem neuen Leben. Er macht die Erfahrung, dass ein Engel im Traum sein Leben aufklärt.“

Es kann sich also durchaus lohnen, ein wenig auf die eigenen Träume zu achten. Laut Bibel jedenfalls, können sie – sofern man sich nicht von zwielichtigen Traumdeutern oder eigenen Wunschvorstellungen verwirren lässt – wichtige Einsichten, Warnungen oder Trost vermitteln. Und sie können Menschen mit Gott ins Gespräch bringen. So wie es dem weisen König Salomo geschah. „Bitte, was ich dir geben soll“, forderte ihn Gott eines Nachts im Traum auf. Der junge König antwortete, er sei noch so unerfahren und wünsche sich daher „ein gehorsames Herz“, um zu „verstehen, was gut und böse ist“. Diese Bescheidenheit gefiel Gott so gut, dass er Salomo nicht nur „ein weises und verständiges Herz“, sondern dazu auch noch Reichtum und Ehre schenkte.

Uwe Birnstein, Jahrgang 1962, hat ev. Theologie studiert und arbeitet in seinem Traumberuf: als Journalist und Buchautor. Seine Schwerpunkte sind Themen des Glaubens und der Kultur. Außerdem ist er bundesweit als Musiker unterwegs.

Foto: Maren Kolf