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Träum weiter

Sie gehören ins Reich des Unbewussten, des nicht Kontrollierbaren und üben gerade deswegen eine besondere Faszination auf uns aus. Träume öffnen Wege in eine Welt, die dem wachen Geist nicht zugänglich ist. So wurde es über Jahrhunderte hinweg gesehen. Inzwischen hat die Traumforschung Erkenntnisse gesammelt, um Träume zu nutzen, zu steuern und sogar sichtbar zu machen.

Von Franziska Draeger

Wir alle führen ein Doppelleben: eines mit Terminen und Verpflichtungen und eines, in dem nichts vorhersehbar ist. Während wir am Tag weitgehend kontrolliert durch unseren Alltag gehen, können wir in der Nacht in unseren Träumen schweben oder durch Wände gehen, es gibt sprechende Tiere oder Monster, und manchmal sind wir jemand ganz anderes. Träume sind Geschichten, die wir uns selbst erzählen – ohne selbst zu wissen, was als nächstes passiert.

„Dabei werden die Drehbücher von Träumen absurder, je länger wir schon schlafen“, sagt Prof. Martin Dresler. Der Neurowissenschaftler erforscht am Donders Institute in Nijmegen, Niederlande, den Schlaf und die Träume. Zu Beginn der Nacht scheine das Gehirn noch sehr in der Wirklichkeit verhaftet zu sein. „Kurz nach dem Einschlafen haben viele Menschen, auch ich, oft unglaublich langweilige Träume vom Alltag.“ In den Morgenstunden dagegen werden die Träume vieler Menschen actionreicher, abgedrehter. Doch egal wie skurril einem im Nachhinein eine Wendung im Traum erscheinen mag, solange man träumt, erscheint einem alles schlüssig. Eine erstaunliche Leistung des Gehirns, nicht nur das Drehbuch zu schreiben, sondern sich selbst zugleich im Glauben zu lassen, all das wäre nicht virtuell, sondern reell.

Während einige Schlafforscher Träume als „Gedankenabfall“ abtun, sehen viele Menschen mehr darin. Sie berichten von visionären Träumen, Begegnungen mit Verstorbenen oder Vorahnungen. „Da gelangt man schnell auf das Gebiet der Parapsychologie“, sagt Prof. Daniel Erlacher, Psychologe und Sportwissenschaftler an der Universität Bern, der sich zum Thema Sport, Schlaf und Traum habilitierte. Und Dresler fügt hinzu: „Vielleicht träumen wir einfach so viel, dass auch mal etwas Zukünftiges dabei ist – aber an all die nicht wahrgewordenen Träume erinnern wir uns eben nicht.“

Franziska Draeger, Jahrgang 1986, studierte zunächst Biologie, dann Journalismus an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Deutschen Journalistenschule. Am liebsten schreibt sie über Themen aus der Wissenschaft, Gesundheit und Psychologie.

Schlafforscher Dresler betont, dass Träume uns möglicherweise helfen, für den Ernstfall zu trainieren. „Wir können üben, einen Wolf zu bezwingen, oder aber Konflikte auf unterschiedlichste Art ausleben, ohne unser soziales Netz in der Realität zu gefährden.“ Einige Forscher versuchen, dieses „Training“ zu nutzen: durch Klarträume. Die sogenannten luziden Träume sind für sich schon faszinierend. In etwa jeder Zweite erlebt in seinem Leben einen solchen Traum. Das heißt, dass man sich bewusst wird, dass man gerade träumt, und dann im Traum Entscheidungen treffen kann. Man kann also das Drehbuch des Traums selbst in die Hand nehmen.

Klarträume sind keine Einbildung

Dass luzide Träume keine Einbildung sind, ist längst bewiesen: Klarträumer können im Schlaf mit ihren Augenbewegungen Signale geben, die vorher vereinbart wurden – und die Geräte im Schlaflabor zeigen währenddessen eindeutig, dass sie gerade schlafen. Die Muskeln der Arme und Beine kann man im Schlaf nicht so bewusst ansteuern, aber die Muskeln der Augen bilden eine Ausnahme.

Mit einiger Übung kann man die Frequenz solcher Träume erhöhen. „Manche Menschen träumen monatlich, wöchentlich oder noch öfter luzid“, sagt Prof. Dresler. Auch selbst hatte er schon einige Klarträume, viele bereits in seiner Kindheit. „Dann lange nicht – und als ich nach Jahren das erste Mal wieder klarträumte, war ich so aufgeregt, dass ich sofort aufgewacht bin.“ Wenn er diesen fragilen Zustand etwas ausdehnen kann, versucht er eigentlich immer zu fliegen. „Der Reiz davon ist einfach so groß, dass sehr viele Klarträumer das tun, aber alle auf unterschiedliche Weise. Die einen fliegen mit den Beinen voran, die anderen wie Superman, andere schlagen mit den Armen wie mit Flügeln.“

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Sehr viele Menschen träumen, dass sie fliegen können.

Doch statt für Flugstunden könnte man Klarträume auch gezielt zum Training einsetzen. Das hat Prof. Daniel Erlacher versucht. Der Sportwissenschaftler wollte Spitzensportler dazu bringen, bewusst träumen zu lernen und mentales Training, also das bewusste Vorstellen von Bewegungsabläufen, auch nachts fortzuführen. Klarträume beschäftigten ihn bereits in seinem Sportstudium mit Nebenfach Psychologie. So sehr, dass er versuchte, eine Klartraum-Maschine zu bauen, also eine Apparatur, die die Bewegungen seiner Augen erfasst. Sie sollte erkennen, wenn er in einer REM-Phase war, also in einer traumreichen Schlafphase. Dann sollte sie ihm Lichtimpulse übermitteln und so einen luziden Traum auslösen. „Funktioniert hat das leider überhaupt nicht. Erst, als ich mir irgendwann die Elektroden abgenommen habe, und wieder eingeschlafen bin, hatte ich meinen ersten Klartraum“, schildert Erlacher. „Ich habe in der Küche meiner Eltern Basketball gespielt – und das kam mir so absurd vor, dass ich merkte, dass ich träume. Da habe ich schnell angefangen zu fliegen.“

Klarträumen bietet also eine Möglichkeit, den Naturgesetzen zu trotzen, zumindest im Schlaf. Und Menschen, die an entsetzlichen Alpträumen leiden, bietet das Klarträumen auch einen Ausweg. Wenn uns Nacht für Nacht eine Bestie verfolgt, oder wir vor einer unlösbaren Prüfung stehen, kann es helfen, wenn wir uns dafür tagsüber ein glückliches Ende ausdenken. Wie wir die Bestie überwinden oder die Prüfung schwänzen können zum Beispiel. „Und wenn es dann das erste Mal gelingt, diesen alternativen Schluss zu träumen, berichten Menschen davon, dass der Traum nicht wiederkommt“, so Dresler.

Lernen, bewusst zu träumen

Allerlei scheint also möglich zu sein, wenn man lernt, bewusst zu träumen. Selbst für das Sporttraining, für das es Prof. Erlacher versuchte, einzusetzen, zeigt es Wirkung. So gelang es Testpersonen, in luziden Träumen Bewegungsabläufe zu üben und dadurch ihr Können im Wachen zu verbessern. „Allerdings ist der Trainingseffekt am besten, wenn eine Bewegung tatsächlich ausgeführt wird. Und so richtig praxistauglich ist die Methode nicht“, schränkt der Sportwissenschaftler ein. Denn zuerst muss ein Klartraum entstehen. Zwar hat auch hier die Wissenschaft Fortschritte gemacht, und man kann mittlerweile luzide Träume herbeiführen, so wie es Erlacher schon als Student erträumt hat. Etwa, indem im Schlaflabor Testpersonen über äußere Reize wie leichte Vibrationen am Arm im REM-Schlaf in Klarträume versetzt werden. „Aber selbst das gelingt nur in etwa jedem zweiten Mal im Schlaflabor“, so der Sportwissenschaftler.

Vielleicht ist es auch ein wenig tröstlich, dass sich Träume sträuben, als Mittel zum Zweck eingesetzt zu werden. So wie sie sich auch Versuchen widersetzen, gedeutet und verstanden zu werden. Dabei sind diese Versuche so alt wie die Menschheit. Schon im antiken Griechenland wurden Träume als Botschaften gedeutet, etwa in Artemidorus’ „Oneirokritika“. Das Ziel war, aus den Träumen etwas über das künftige Leben des Träumenden abzuleiten. Gemäß dem Traumdeutungswerk bedeutete etwa ein Flug über die Erde, dass eine Reise oder eine Ortsveränderung bevorstand.

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Sind in Träumen vor allem Spuren des gelebten Lebens zu finden?

Der Psychoanalytiker Sigmund Freud hingegen versuchte eher, in Träumen Spuren des bereits gelebten Lebens zu finden. In unseren Träumen manifestieren sich Freud zufolge verdrängte Wünsche. Charakteristisch für seine Arbeit verband er diese allerdings vor allem mit Sex und Aggression. Moderne Schlafforschung zeigt jedoch, dass Träume weit mehr verborgene Informationen enthalten. Das folgt aus Analysen unzähliger Traumreporte von Menschen aus aller Welt.

Ein nächtlicher Spiegel unserer Gemütszustände

Zu einem gewissen Grad sind Träume ein nächtlicher Spiegel unserer Gemütszustände. Wer gerade tagsüber unter Druck steht, erlebt auch nachts mehr Schrecken. Manche Forscher postulieren, dass Träume eine Art nächtlicher Therapeut sind, dass wir uns im Schlaf selbst auf neue, kreative Lösungen bringen, indem wir das Erlebte aus neuer Perspektive beleuchten. Möglich also, dass Träume ein ungeschätztes therapeutisches Potenzial haben.

Diskutiert wird die psychologische Traumarbeit auch bei psychischen Erkrankungen, bei denen der Realitätsbezug leidet, bei Schizophrenie oder Halluzinationen. „Doch hier ist es ein zweischneidiges Schwert“, sagt Dresler. „Bei Menschen mit Schizophrenie scheint genau der Hirnbereich geschwächt zu sein, den wir zum Klarträumen brauchen. Man könnte also meinen, dass die Krankheit nachlässt, wenn man diesen Bereich übers Klarträumen trainiert.“ Doch wenn man beginnt, sich im luziden Träumen zu üben, nutzt man Techniken, die Paranoia steigern könnten. So fragt man sich auch im Wachzustand regelmäßig, ob man denn tatsächlich wach ist. Ob dies tatsächlich ein Ansatz sein könnte, muss also noch untersucht werden.

Neuerdings arbeiten Forscher sogar daran, die Traumgeschichten per Bildgebung aufzunehmen. So versuchen Forscher in Japan, Traumbilder per Magnetspin und Computeranalyse sichtbar zu machen. Hier und da erzielen sie bereits erste Erfolge, sie können sehen, dass jemand von einem Buch träumt oder von einer Gruppe Menschen.

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Doch wirklich scharfe Bilder aus den aktiven Hirnregionen Schlafender abzulesen, ist bisher nicht in greifbarer Nähe. Auch deshalb, weil das Gehirn im Schlaf ganz andere Aktivitätsmuster zeigt als im Wachzustand. Auch hier können Menschen, die häufig klarträumen, der Wissenschaft helfen, weil sie sich meist besser an das Geträumte erinnern als andere – und die Geschichte, die der Computer aus den Hirnbildern abgeleitet hat, damit vergleichen können.

Träume sind vielleicht eines der letzten großen Rätsel der Menschheit. Trotz aller wissenschaftlichen Fortschritte bleiben sie in ihren Tiefen undurchschaubar. Doch gerade diese Unergründlichkeit macht sie so wertvoll. Denn sie erinnern uns daran, dass es Dinge gibt, die wir nicht völlig verstehen müssen, um ihre Magie zu erleben. Auf unbestimmte Zeit werden Träume wohl wie Kinofilme bleiben, die nur für eine Person erlebbar sind, den Schlafenden selbst. Noch mehr als in einer Sneak Preview im Kino muss man sich Nacht für Nacht komplett überraschen lassen, was gezeigt wird – und das, obwohl man meist sogar die Hauptrolle in der Traumgeschichte spielt.