KOLUMNE
von Christian Topp
„Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da“, behauptete Gustaf Gründgens einst singend im Film „Tanz auf dem Vulkan“. Er sollte recht behalten, zumindest wenn man den Erfolg des kleinen Liedes, das in kürzester Zeit zum Gassenhauer wurde, als Maßstab akzeptiert. Wozu sie noch so da ist, die Nacht, ist wohl vor allem eine Frage der Perspektive. Beim Nachtschwärmer ist das naturgemäß eine andere als beim Schichtarbeiter. Und die Sichtweise einer Nachtschwester unterscheidet sich grundlegend von der einer Dancing Queen. Die Schlafforschung wiederum weiß längst, dass die Nacht zum Träumen da ist – zumindest ein wichtiger Teil von ihr.
Wo eine Erkenntnis ist, ist der Versuch ihrer Vermarktung nicht weit. Schon seit einiger Zeit interessiert sich die Werbeindustrie deshalb für den luziden Grenzbereich zwischen Traum und Wirklichkeit. Genau dort, so wird vermutet, liegt das Tor zu den Traumwelten. Wer Zugang haben will, muss sich also nur den Schlüssel besorgen. Erste Studien legen nahe, dass man von außen durchaus in diesen Raum eindringen kann. Raucher zum Beispiel, deren Schlaf man während eines Experiments mit einem Duftgemisch aus kaltem Rauch und faulen Eiern vernebelt hat, sollen nach dieser Aktion weniger Lust auf Zigaretten gehabt haben.
Eine hierzulande eher weniger bekannte US-Biermarke hat vor einiger Zeit versucht, den gegenteiligen Effekt zu erzielen: „Targeted Dream Incubation“ heißt die Technik im Marketing-Sprech. Werbung soll dabei direkt in den Träumen der Menschen platziert werden. Die Bierbrauer haben demnach freiwilligen Probanden vor dem Einschlafen mehrfach einen Kurzfilm vorgespielt. Der Inhalt: ein Kamera-Gleitflug durch attraktive Berglandschaften, in denen hüpfende Bierdosen unterwegs sind. Das klingt zwar mehr nach einem albernen Albtraum, die Experten aus dem Bereich der Schlaf- und Traumforschung hat es aber trotzdem alarmiert. In einem offenen Brief warnten rund 40 von ihnen im Juni 2021: „Wenn Menschen Träume zu Verkaufszwecken ins Gehirn gepflanzt werden (…), dann müssen wichtige ethische Fragen gestellt werden.“ Die Traumzeit sei viel zu wichtig, um sie ökonomischen Interessen zu unterwerfen. Unser Gehirn brauche sie, um neue Eindrücke mit bereits Gelerntem abzugleichen.
Die Werbestrategie der Bierbrauer scheint (bisher zumindest) nicht besonders erfolgreich gewesen zu sein. Man hat hat von dem Projekt nach der Intervention der Fachleute nie wieder etwas gehört. Aber womöglich trügt der Schein. Bleiben Sie lieber wachsam – besonders, wenn es ans Einschlafen geht. Sollten trotzdem plötzlich ungewöhnlich viele Markenartikel in Ihren Träumen herumhüpfen, dann könnte ein schwerer Fall von „Targeted Dream Incubation“ vorliegen.