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Erholung für Körper und Geist

Dr. Werner von Wulffen, Chefarzt der Pneumologie und Leiter des Schlaflabors der Augustinum Klinik München, über das Schlafen

Herr Dr. von Wulffen, was passiert mit uns, wenn wir schlafen?

Zunächst einmal das, was jeder kennt: Die Augen schließen sich. Die Muskelspannung an den Armen, Beinen, im Gesicht lässt nach, und die Muskelaktivität im Körper geht in den meisten Organen herunter. Allerdings nicht in allen, das Zwerchfell zum Beispiel muss weiterarbeiten, sonst würde man ja ersticken. Manche Menschen kennen vielleicht von sich, dass man im Einschlafen manchmal noch zuckt, das ist der Augenblick, wenn die Muskelaktivität abgehängt wird.

Und wie verläuft die Zeit zwischen Einschlafen und Aufwachen?

Im Schlaflabor messen wir mit dem EEG die Hirnaktivität, mit Elektroden die Augenbewegungen und außerdem die Spannung der Muskulatur am Kinn. Darüber können wir verschiedene Schlafstadien definieren. Wenn man ungestört schläft, dann schläft man ein, hat zunächst einen leichten Schlaf, dann den stabilen Schlaf, danach den Tiefschlaf, und dann gibt es den REM-Schlaf, den rapid-eye-movement-Schlaf. Er hat den Namen nach den ruckartigen Augenbewegungen des Schlafenden; die Hirnströme sind jetzt im Gegensatz zum stabilen und zum Tiefschlaf hochfrequent, aber die Muskelaktivität ist sehr niedrig, weil man das, was man träumt – besonders in den bizarren Träumen oder Alpträumen im REM-Schlaf – ja nicht tun soll, zum Beispiel wild um sich schlagen oder mit den Beinen strampeln. Beim gesunden Schlaf dauern diese Zyklen ungefähr eineinhalb Stunden und wiederholen sich, wobei zu Beginn der Nacht der Tiefschlaf überwiegt, und je länger man schläft der REM-Schlaf. Deshalb träumen viele Menschen auch subjektiv am Wochenende mehr als unter der Woche. Denn wenn man spontan aufwacht, also nicht geweckt wird, wacht man aus der REM-Phase auf, und dann erinnert man sich oft an den Traum. Giraffen dagegen haben zum Beispiel immer nur ganz kurze Schlafphasen und ganz kurze REM-Phasen, denn wenn ihnen der Kopf herunterhängt, wissen die Hyänen: Jetzt sind sie wehrlos. Sie dürfen also nur kurz schlafen.

Warum müssen wir überhaupt schlafen?

Es gibt ein paar indirekte Hinweise, also dass man müde ist, nicht leistungsfähig, aber keine richtig befriedigende Erklärung dafür, warum Lebewesen schlafen müssen. Wenn man Lebewesen, ob das Menschen sind oder andere Säugetiere, komplett Schlaf entzieht, dann werden die irgendwann irre, die Menschen fangen an zu halluzinieren, teilweise depressiv oder total aufgekratzt zu werden. Sicher ist, dass sich der Körper im Schlaf erholt, und sicher gibt es auch eine geistige Erholung in dem Sinne, dass das Gehirn mal runtergefahren wird.

Die Redewendung „eine Nacht drüber schlafen“ legt nahe, dass im Schlaf trotzdem etwas im Gehirn passiert.

Im Schlaf organisieren wir Inhalte, die wir während des Tages wahrgenommen haben, und das Gehirn strukturiert und sortiert sie dann so, dass sie hinterher zugreifbar sind. Um sich eine Information zu merken, muss das Gehirn die ja nicht nur irgendwo mal abgespeichert haben, sondern es muss auch wissen, wo sie abgespeichert ist und das in dem richtigen Zusammenhang abrufen können. Und diese Organisation scheint im Schlaf zu laufen. Wenn Sie Menschen beispielsweise den REM-Schlaf entziehen, ist auch das Lernen beeinträchtigt. Aber natürlich bringt es nichts, sich einfach das Vokabelheft unters Kopfkissen zu legen, man muss es vorher schon gelesen haben.

Eine weitere Redewendung spricht davon, sich „gesund zu schlafen“.

Das Immunsystem funktioniert grundsätzlich besser, wenn man gut ausgeschlafen ist, das betrifft die Infektanfälligkeit oder die Heilung von Wunden. Die Zusammensetzung von Immunzellen im Blut ändert sich bei schwerem Schlafapnoesyndrom, also einem kurzzeitigen Aussetzen der Atmung während des Schlafs, aber es gibt meines Wissens nach noch keine wirklich befriedigende Erklärung, was Schlaf und Immunsystem miteinander zu tun haben. Schlafentzug hingegen kann krank machen.

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Schlafentzug ist ja nicht immer freiwillig: Viele Menschen klagen heute über Schlafstörungen.

Wir Menschen haben in uns zwei Schlafzeiten programmiert, die allerdings zwischen den einzelnen Menschen unterschiedlich sind und die sich im Laufe des Lebens auch verändern (Kinder müssen mehr schlafen als alte Menschen). Das ist einmal eine Zeit, die wir brauchen, um zu überleben, die sogenannte Kernschlafzeit, und dann eine Zeit, die wir brauchen, um uns wohlzufühlen. Die Kernschlafzeit liegt bei ungefähr vier Stunden, also zwei bis drei Schlafzyklen, und wenn man außerhalb dieser Zeit aus irgendwelchen Gründen wach wird und versucht, wieder zu schlafen, sagt das Gehirn: Eigentlich musst du jetzt nicht schlafen. Um einschlafen zu können, muss das Gehirn eine gewisse Müdigkeit und Entspannung wahrnehmen, und wenn das nicht der Fall ist, schläft man auch nicht ein.

Kann ich mein Gehirn dann überlisten?

Es gibt verschiedene Arten von Schlaflosigkeit. Es gibt Schlaflosigkeit aufgrund von körperlichen Erkrankungen, etwa bei starken Schmerzen oder Luftnot, und es gibt eine akute Schlaflosigkeit bei Stresssituationen; das kennt jeder, der mal eine Prüfung gemacht hat oder ein belastendes Erlebnis hatte. Und gar nicht wenige Menschen behalten, auch wenn der Grund längst weg ist, noch eine Einschlafstörung zurück, das nennt man psychophysiologische Insomnie. Diese kann man durch Psychotherapie, autogenes Training, gegebenenfalls auch mal durch eine nicht abhängig machende schlafanstoßende Therapie, zum Beispiel mit Melatonin, ganz gut durchbrechen. Wenn man dann weiß: Ich kann ja einschlafen, und dieses positive Erlebnis hat, funktioniert das ganz gut. Es gibt seit ein paar Jahren auch eine verschreibungsfähige App, die somnio-App, die als Medizinprodukt verordnungsfähig ist, und die einem nach Abfragen von Schlafgewohnheiten individuell Schlaftipps gibt. Und natürlich ist eine gute Schlafhygiene wichtig: regelmäßiges Schlafen, eine ruhige Umgebung, wohingegen Alkohol und Kaffee am Abend keine gute Idee sind, und auch nicht der Fernseher im Schlafzimmer.

Wann sollte man einen Arzt aufsuchen?

Es gibt Menschen, die subjektiv gut schlafen und trotzdem komplett unerholt sind. Das können Atemaussetzer sein, das kann andere Gründe haben. In der Medizin heißt das „Am-Tage-Schläfrigkeit", man kann sich nicht mehr wachhalten, und wenn man wirklich so eine ausgeprägte Schlaflosigkeit hat und keine Ruhe findet, sollte man das klären. Das kann psychische Ursachen haben oder körperliche, zum Beispiel eine Schilddrüsenüberfunktion.

Wie sieht Ihre Arbeit im Schlaflabor aus?

Wir behandeln hauptsächlich Leute mit Atemaussetzern, der sogenannten Schlafapnoe, verbunden mit Schnarchen (die meisten Menschen, die Atemaussetzer haben, schnarchen, aber nicht alle Menschen, die schnarchen, haben Atemaussetzer). Der erste Schritt ist eine ambulante Untersuchung über einen niedergelassenen Arzt, der feststellt, ob man Atemaussetzer hat, erst dann kommt die Vorstellung im Schlaflabor. Vieles lässt sich auch vorher schon durch Gespräche oder eine Blutabnahme klären. Wenn jemand dann hier ist, machen wir eine Polysomnographie, eine Untersuchung von ganz vielen Parametern wie Atmung, Sauerstoffsättigung, Hirnströmen, Augenbewegungen, um die Schlafstadien bestimmen zu können. Und wenn die Menschen relevante Atemaussetzer haben, bekommen sie von uns eine Maskentherapie, bei der man mit einer Maske über der Nase oder Nase und Mund mit einem leicht positiven Luftdruck diese Atemaussetzer wegbeatmet.

Was fasziniert Sie persönlich am Schlaf?

Wir konnten über die Jahre wirklich vielen Menschen substanziell weiterhelfen. Menschen, die schlecht schlafen, sind ja nicht nur müde, sondern deren ganzes Sozialleben leidet darunter, sie sind gereizt, können nicht mehr abends ausgehen. Da kann eine Therapie gut helfen. Und manchmal hören wir danach skurrile Dinge, etwa dass ein Patient erzählt: „Auf einmal bin ich morgens ausgeschlafen um sechs Uhr wach und weiß gar nicht, was ich tun soll.“ Und seine Frau: „Ich wache nachts auf und denke: Jetzt ist er tot – ich höre ihn nicht mehr.“ Ein anderer Patient, der als Außendienstmitarbeiter im Jahr an die 80.000 Kilometer fahren musste, war kurz davor, zu kündigen, weil er seine Arbeit durch seine Schlafstörung nicht mehr ausüben konnte – mit der Therapie lief es dann wieder wunderbar. Das ist schon schön.

Dr. Werner von Wulffen ist Chefarzt der Pneumologie und Leiter des Schlaflabors der Augustinum Klinik München. Die Fachabteilung Pneumologie bietet umfassende Versorgung im Bereich der Atemwegs- und Lungenheilkunde. Im Schlaf auftretende Störungen der Atemregulation werden im Schlaflabor behandelt.