Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien

Nur ein kleines bisschen Himmel

Bizarre Monster, grauenerregende Kreuzungen aus Mensch,Tier und Fabelwesen, Mord und Folter in einem gewaltigen Inferno: Das Weltgericht von Hieronymus Bosch ist ein gemalter Alptraum. Aber auch Zeugnis einer unbändigen künstlerischen Fantasie, deren Faszination noch 500 Jahre nach seiner Entstehung ungebrochen ist.

Von Bettina Schumann-Jung

Auf den ersten Blick eine düstere infernalische Landschaft, erhellt nur von brennenden Ruinen, ein nachtschwarzes Fegefeuer als Hintergrund für eine Unzahl kaum erkennbarer Grausamkeiten. Scheinbar ohne jede Ordnung gehen bizarre Dämonen ihren bösartigen Geschäften nach, drangsalieren die nackten Leiber der verdammten Seelen. Die Welt scheint sich fast überall schon in eine Hölle verwandelt zu haben. Und je näher man kommt, desto größer das Erschrecken über das ganze abscheuliche Getier und seine perfiden Quälereien.

„Wenn man ohne eine mögliche Exegese, das heißt ohne Theorie zu dem, was hier zu sehen ist, nur akribisch zu registrieren versuchte, was da nun eigentlich zu sehen ist“, schrieb der niederländische Schriftsteller Cees Nootebohm zu einem Bild seines Landsmanns Hieronymus Bosch, „… dann könnte man ein Hunderte von Seiten dickes Buch mit einer wahrscheinlich sinnlosen Aufzählung von Greulichkeiten, größtenteils unbenennbaren Pflanzen, hybriden Wesen und Mischformen füllen.“ Denn nicht nur verliert sich das Auge in den zahllosen Details und Details der Details, auch der Versuch, all diese abnormen Wesen zu beschreiben, kommt immer wieder an Grenzen. Wie bezeichnet man den blauen Flötenspieler am linken Rand der Mitteltafel, dessen langer Hals in einen entenartigen Kopf übergeht, aus dem zugleich sein Blasinstrument erwächst? Wo sind Anfang und Ende des, einem von einem Schwert durchbohrten Walross ähnlichen, Monsters am rechten unteren Rand der Mitteltafel?

Procul recedant somnia et noctium phantasmata …

(Lass die Träume verschwinden und die Geister der Nacht …)
Textzeile aus einem während des Nachtgebets gesungenen spätantiken Hymnus

Bei aller Anarchie – Boschs Weltgericht ist als Triptychon wie ein klassisches Altarbild angelegt: das Hauptbild mit dem Jüngsten Gericht in der Mitte, flankiert von den beiden Flügeln mit der Darstellung des Paradieses auf der linken und der Hölle auf der rechten Seite. Doch anders als bei seinen Vorgängern ist Gut und Böse bei Bosch nicht ausgewogen – ganz im Gegenteil: Bis auf den linken Seitenflügel wird alles beherrscht von Feuersbrünsten und Finsternis, vom Bösen schlechthin, das mit dem Engelssturz und dem Sündenfall bereits im Paradies entsteht und sich ungehemmt und in aller Hässlichkeit über den Großteil des Bildes ausbreitet. So dominant, dass die wenigen Erlösten am linken Rand der Mitteltafel, die von Engeln in den Himmel geleitet werden, in der ganzen braun-schwarzen Düsternis kaum zu erkennen sind.

Während sie in dem furchtbaren Inferno fast untergehen, werden die Verdammten und die ihnen auferlegten Höllenqualen dem Betrachter umso akribischer vor Augen geführt. So kleinteilig, dass das Auge Mühe hat, die zugrundeliegende Komposition zu erkennen.

Und doch gibt es sie, sichtbar vor allem in der Brücke in der Bildmitte, über die die Seelen – wie in mittelalterlichen Visionstexten beschrieben – ins Jenseits gelangen. Ihr Schicksal scheint bereits besiegelt, ihr Weg unabwendbar zum Torwächter in der Öffnung eines überdimensionalen grünen Kruges zu führen, der die Basis einer ausgeklügelten Foltermaschine bildet. Darum herum aber bricht sich die schauerliche Fantasie des Malers ungezügelt Bahn in einem chaotischen Nebeneinander von Todsünden und Höllenqualen. Der Trägheit etwa, oberhalb der Brücke zu sehen in Gestalt eines Mannes mit Dudelsack, der auf einem Fass ruht, gefolgt von der Wollust, einer Frau mit Hörnerhaube im Eingang des Wirtshauses. Und gleich daneben die Bestrafung der Seelen durch das Schmoren in der Esse.

Hieronymus van Aken, genannt Bosch (um 1450–1516) gehört trotz eines relativ kleinen Œuvres von nur gut 20 gesicherten Bildern zu den bedeutendsten Malern der niederländischen Spätgotik. Bereits zu Lebzeiten war er angesehener Maler und Bürger seiner Heimatstadt ’s-Hertogenbosch, nach der er sich später nannte. Er war Mitglied der elitären religiösen Bruderschaft Unserer Lieben Frau, die mit den höchsten Kreisen aus niederländischem Adel, Geistlichkeit und Bürgertum verbunden war. Auftraggeber seiner Werke war neben der Kirche auch der burgundische Hof, darunter dessen höchster Repräsentant Philipp der Schöne.

 

Die Gemälde von Hieronymus Bosch stecken voller Details, die oft eine bestimmte Symbolik beinhalten. Die Deutung ergibt sich teilweise durch schriftliche Überlieferungen seiner Zeit, teilweise auch durch Vergleiche seiner Werke mit denen seiner Zeitgenossen. Im „Weltgericht“ wird an verschiedenen Stellen auf die menschlichen Sünden angespielt: So steht der Krug für die Wollust, die Kröte symbolisiert Verdorbenheit, der Pfeil das Böse, und der Trichter als Kopfbedeckung spielt auf betrügerische Absichten an, da sich sein Träger gegen den Himmel abschirmt. Auch die vielen unterschiedlichen Zwitterwesen sind bei Bosch fast immer Ausdruck des Bösen. Sie waren im Mittelalter in sogenannten Bestiarien abgebildet, fanden sich aber auch an der Kathedralplastik, zum Beispiel in Form von Wasserspeiern.

In all dem höllischen Chaos gibt es nur Weniges, was Erlösung ahnen lässt. Der Himmel mit Christus als dem Weltenrichter nimmt gerade mal ein Viertel der Mitteltafel ein. Es scheint wenig Hoffnung zu geben für die Menschheit in diesem Bild. Diese Einschätzung entsprach der Stimmung im Herbst des Mittelalters: Feste Gewissheiten, vor allem die Allmacht der Kirche, gerieten ins Wanken, und selbsternannte Propheten sagten das Ende der Welt voraus. Vom Frühling der Neuzeit ist hier noch nichts zu ahnen, auch wenn dieser jenseits der Alpen bereits ein neues Bild des Menschen in der Welt erschaffen hatte.

In Brabant, der Heimat von Hieronymus Bosch, wütete 50 Jahre nach seinem Tod der Bildersturm und fegte die Kathedralen leer von aller Kunst. Der zur kontemplativen Andacht, aber auch der der Schrecken des Jenseits, die die Gläubigen über Jahrhunderte hinweg in Angst gehalten hatte vor einem strafenden Gott ohne Gnade.