Materialschichten – sichtbar abgelagerte Zeit, die manchmal auch nur unschön abgeplatzt oder unkenntlich gemacht worden ist – sind das zentrale Thema bei der Restaurierung. Je nach Epoche und Erhaltungsgrundsatz geht es darum, offene Wunden so behutsam zu verschließen, dass unterschiedliche Werkinterpretationen weiterhin möglich sind, oder einen (vermeintlich) ursprünglichen Zustand wiederherzustellen, der allerdings der Deutung der oder des Restaurierenden unterliegt.
Von Solveig Michelsen
Sylvia Kellner ist Vergolder- und Fassmalermeisterin in Utting am Ammersee und übt damit einen aussterbenden Beruf aus: Nur noch vier Prüflinge gibt es deutschlandweit in diesem Jahrgang, was sie als Vorsitzende des Gesellen-Prüfungsausschusses besonders bedauert. Seit 35 Jahren restauriert sie Skulpturen, Rahmen, Gemälde, Metallobjekte und Möbel und kann damit auf einen umfangreichen – und sehr spannenden – Erfahrungsschatz zurückblicken.
An der Fachakademie zur Ausbildung von Restauratoren in München, dem Goering Institut, kann man auch mit Mittlerer Reife seine Ausbildung zum/zur staatlich anerkannten Restaurator*in für Möbel und Holzobjekte innerhalb von drei Jahren absolvieren. Das Institut nimmt mit dieser einzigen offiziell anerkannten Ausbildungsmöglichkeit für handwerkliche Restaurator*innen im europäischen Raum eine Sonderstellung ein und ist eine der ältesten Ausbildungsstätten in Deutschland. Der Praxisanteil der Ausbildung liegt bei 50 Prozent.
Kirchenmaler*innen (eine Fachgruppe der Malerinnung) sowie Vergolder und Fassmaler*innen (in einer eigenen Innung organisiert) mit Meistertitel können in einer einjährigen Fortbildung ebenfalls zur/zum „Restaurator*in im Handwerk“ weitergebildet werden. Handwerkliche Restaurator*innen müssen immer auch die Kundenwünsche in ihre Arbeit miteinbeziehen – es sei denn, der Denkmalschutz verbietet es. (Das Denkmalschutzgesetz gibt es allerdings erst seit 1973.)
Aktuell neun Hochschulen in Deutschland bieten auch ein Studium der Konservierung und Restaurierung an. In der Regel liegt hier der Schwerpunkt auf einer bestimmten Material- oder Objektgruppe, z.B. Musikinstrumente, Bücher, Keramik, Glas/Mosaik oder archäologisches Kulturgut. Akademische Restaurator*innen haben ihren Fokus auf einer wissenschaftlichen Konservierung und Restaurierung, die streng nach den Erhaltungsgrundsätzen Nachvollziehbarkeit und Reversibilität arbeitet.
Der Begriff „Fassmaler” in der Berufsbezeichnung hat dabei nichts mit dem Bepinseln von Fässern zu tun, sondern benennt das Bemalen von Plastiken und Schnitzereien, was fachsprachlich als „fassen” bezeichnet wird. Vergolder*innen sind mit der Veredelung und Gestaltung von allerlei Oberflächen beschäftigt – je nach Anforderung auf Poliment- oder Ölbasis. Unter Poliment versteht man den Untergrund, der für das Auftragen von Gold vonnöten ist. Dieser besteht aus verschiedenen Schichten von Tonerden, aufgetragen auf fein geschliffenem Kreidegrund – wiederum in mehreren Schichten –, was eine Haftwirkung für das Gold erzeugt. Diese bis zu 20 verschiedenen Schichten müssen auch noch einzeln trocknen. Mit achttausendstel Millimeter dickem Blattgold wird dann eine Oberfläche geschaffen, die optisch von massivem Gold nicht zu unterscheiden ist. Aufgrund dieser einzigartigen Vergoldungstechnik stehen die Vergolder und Fassmaler*innen heute auf der Liste des immateriellen Kulturerbes der UNESCO und der bayerischen Kulturerbe-Liste.
Soll das Gold für den Außenbereich witterungsbeständig sein, greift man hingegen auf eine Ölvergoldung zurück, die hauptsächlich auf Putz, Stein und Metall Anwendung findet. Der arbeitszeitliche Umfang einer Vergoldung ist in jedem Fall immens – und oft nur einer von vielen Bausteinen einer Restaurierung.
„Eine zusätzliche Herausforderung bei diesem Handwerk ist, dass Materialien wie zum Beispiel deutscher gelber Bolus (gelbe Tonerde, die als Untergrund für die Poliment-Vergoldung dient, Anmerk. d. Red.) nicht mehr erhältlich sind, weil die Vorkommen erschöpft sind. Auch für uns wichtige Werkzeuge werden immer mal wieder aus dem Programm genommen“, berichtet Sylvia Kellner. „Oder es gibt die Herstellerfirma einfach nicht mehr.“
Doch damit nicht genug der Erschwernisse. Als Restauratorin arbeitet sie nicht selten in großer Höhe – schwindelfrei sollte man dafür schon sein. Und außerdem die körperliche Eignung für den Beruf mitbringen: Schweres Material schleppt sich nicht von alleine, und aufs Gerüst muss man auch klettern können.
„Als Restauratorin braucht man aber nicht nur handwerkliches Geschick und langjährige Erfahrung, sondern einen breiten kultur- und kunstgeschichtlichen Hintergrund. So muss ich zum Beispiel bei einem geschnitzten Faltenwurf wissen, aus welcher Epoche er stammt, welche Bindemittel und Pigmente folglich verwendet worden sind. Oder auch: Welches Gold war damals modern? Rotgold, Gelbgold oder Zwischgold?“ (Das ist ein nur einseitig vergoldetes Silberblatt.)
Solches Wissen kann auch sehr hilfreich sein, wenn man etwa Objekte restaurieren soll, die bereits mit einem Holzwurm-Mittel behandelt worden sind. Bis in die 1980er Jahre hinein verwendete man dafür vornehmlich toxische Substanzen, die hochgiftiges Xylamon oder Lindan enthielten und auch heute noch, insbesondere bei einer Restaurierung, freigesetzt werden können.
Doch was genau umfasst eine Restaurierung überhaupt? Die Antwort darauf würde je nach Epoche unterschiedlich ausfallen. Während man bis Mitte des letzten Jahrhunderts noch versucht hat, einen (vermeintlich) ursprünglichen Zustand wiederherzustellen, heißt heute die Devise: so wenig wie möglich, so viel wie nötig. Denn eine nachträgliche Vervollständigung eines Objekts enthält zwangsweise immer auch eine Interpretation der/des Restaurierenden, die sehr spekulativ ausfallen kann. Deshalb ist man inzwischen zur so genannten Neutralretusche übergangen (im Gegensatz zur Realretusche), die Brüche im Original nur so weit zurücknimmt, dass der Blick nicht davon abgelenkt wird. Damit möchte man möglichst viele Deutungsansätze offenhalten, was 1964 in der Charta von Venedig formuliert wurde. Neben dem Erhaltungsgrundsatz der Nachvollziehbarkeit sollte auch der der Reversibilität gegeben sein – auch das stellt hohe Anforderungen an den oder die Restaurator*in.
Und genau an diesen Ausführungen scheiden sich die Geister – je nachdem, ob der Auftraggeber beispielsweise ein Museum ist, das wissenschaftliche und bildungsvermittelnde Zwecke verfolgt, oder ein Privatmensch, dem die Funktionstüchtigkeit und eine einwandfreie Optik stärker am Herzen liegen. Während das Museum eher zu einer Konservierung tendieren wird (= alle Maßnahmen, die den Zustand eines Objekts stabilisieren und das Eintreten künftiger Schäden verhindern/verlangsamen), wird dem Privatmenschen vielmehr an einer umfassenden Restaurierung oder sogar einer Rekonstruktion (= Ergänzung fehlender Partien) gelegen sein.
In jedem Fall erfolgt als erster Schritt eine Sichtung mit bloßem Auge: Was und wie viel ist an einem Objekt zu tun? Bis zu 50 Prozent aller Notwendigkeiten ergeben sich erst im Laufe der Arbeit, sodass hier viel Erfahrung für einen angemessenen Kostenvoranschlag nötig ist. Dann erfolgt die Konservation, um einen kritischen Zustand zu stabilisieren bzw. einen etwaigen Verfall aufzuhalten. Eine anschließende Reinigung säubert das Objekt so schonend wie möglich. Für die Wiederherstellung defekter Partien sind viel Fingerspitzengefühl und Fachwissen gefragt.
„Der größte Feind für mich als Restauratorin ist dabei das handelsübliche Klebeband oder der Klebstoff aus der Tube. Damit macht man mehr kaputt als vorher kaputt gewesen ist”, warnt Sylvia Kellner.
Ein fabelhaftes Beispiel für eine misslungene Tier-Restaurierung ist der mittlerweile berühmte Löwe von Gripsholm. (Er hat inzwischen sogar eine eigene Facebook-Fanseite.) Einer Legende nach hatte der Bey von Algier dem schwedischen König Friedrich I. im Jahr 1731 eine Reihe von Geschenken gemacht – darunter auch einen Löwen. Ob tot oder lebendig, lässt sich heute nicht mehr so genau nachvollziehen. Jedenfalls wurde der Restaurator wohl erst geraume Zeit nach dessen Ableben damit beauftragt, ihn als Ausstellungsstück zu konservieren. Nachdem der Tierpräparator aber anscheinend noch nie einen echten Löwen gesehen hatte, orientierte er sich dabei an den Löwen-Abbildungen auf diversen Wappen. Die Folge: eine kurze Mähne, eng zusammenstehende Augen und eine überlange Zunge. Von der Seite lässt sich tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit mit dem schwedischen Staatswappen feststellen; als Gesamtes betrachtet … urteilen Sie selbst! // Foto: FB
Ein ähnliches Beispiel liefert eine Gegenüberstellung des Naturkundemuseums Berlin: Einem Ozelot-Präparat von 1818 wurde eines von 1934 an die Seite gestellt. Dem Präparator aus dem 20. Jahrhundert lag das vollständige Tier samt Skelett und Muskulatur vor, während Ersterem nur wenig anatomische Kenntnisse von Ozelots zu eigen gewesen sein dürften … // Foto: Carola Radke, MfN
Restaurierungen fördern immer wieder auch Überraschungen zutage, wie kürzlich bei der Madonna aus der Partnachklamm: Als der Restaurator der Heiligenfigur zu neuem Glanz verhelfen sollte, sprang plötzlich eine Zeitkapsel auf, die Gold- und Silbermünzen sowie ein Schriftstück enthielt. Hier erfahren Sie Genaueres dazu.
Ein besonders spannendes Kapitel im Berufsleben von Sylvia Kellner ist ihr Beitrag zur Ausstellung „Bunte Götter“ gewesen, die seit 2003 weltweit an wechselnden Orten gezeigt wird und mit einem Missverständnis ein für allemal aufräumen möchte: Die Skulpturen der griechischen und römischen Antike sind entgegen weit verbreiteter Annahmen nicht farblos, sondern knallbunt gewesen. Diese Polychromie konnte anhand winziger Pigmentreste in den tiefsten Poren der sonst weißen Skulpturen ermittelt und rekonstruiert werden. Dank einer Infrarot-Lumineszenz-Fotografie mussten dafür die Pigmente nicht mehr abgenommen, sondern konnten ohne weiteren Schaden anzurichten mit einer Pigment-Datenbank abgeglichen werden, um den originalen Farbton festzustellen.
Doch was hat die Skulpturen so weiß werden lassen? Zum einen wurden einige Farben tatsächlich durch häufiges Putzen abgekratzt; zum Großteil lag es jedoch an einem neuen ästhetischen Ideal, das sich bereits in der italienischen Renaissance entwickelt hatte. Der Faschismus griff dies begeistert auf; die Nationalsozialisten sahen die Reinheit in einer weißen – nicht folkloristisch anmutenden – Skulptur verwirklicht und ließen etwaige Pigmente aktiv entfernen.
Über die Rekonstruktion der Polychromie in der Antike und die europäische Arroganz bei der Etablierung kultureller Ernsthaftigkeit durch reinweiße Skulpturen spricht der Kurator der Ausstellung „Bunte Götter“ Prof. Dr. Vinzenz Brinkmann (6:40 Minuten):