Nah am Wasser gebaut

Das Wort „Oase”, das in fast allen Sprachen ähnlich klingt, stammt vom altgriechischen ὄασι (óasis) ab, was so viel bedeutet wie „bewohnter Ort”. Das allein macht natürlich noch keine Oase aus – erst die besonders unwirtliche Umgebung erhebt ihn auf diesen Rang und das dort vorhandene lebensspendende Wasser. Letzteres taucht in ganz unterschiedlicher Form auf und klassifiziert die Oase, die damit ihr Geheimnis preisgibt, woher sie die unerwartete Fruchtbarkeit nimmt.

Von Solveig Michelsen

Luftaufnahme des Nildeltas
Foto: NASA
Nildelta in einer Satellitenaufnahme

1. Flussoase

Diese Art der Oase ist einem so genannten „Fremdlingsfluss“ zu verdanken: In einem humiden, also feuchten Klima entsprungen, fließt er später durch arides Gebiet, das sich an seinen unmittelbaren Ufern ganz überraschend geriert: Saftig dunkelgrüne Dattel- und Fächerpalmen bilden einen herrlichen Kontrast zur staubtrockenen Umgebung. Kein Wunder also, dass sich an den fruchtbaren Rändern eines solchen willkommenen Fremdlings schon immer gerne Menschen niedergelassen haben. Eine der bekanntesten Flussoasen ist das Nildelta, das bereits im alten Ägypten für seine Bewässerungskultur bekannt war und heute 60 Millionen Menschen attraktiven Lebensraum bietet: Zwei Drittel der gesamten Landwirtschaftsfläche Ägyptens macht es aus. Zu den wichtigsten Produkten gehört die Westindische Baumwolle, die Großbritannien während seiner Besatzungszeit dort eingeführt hat.

Eine der weltweit größten Oasengruppen – Tafilalet im Osten Marokkos mit rund 300 Dörfern und bis zu 150.000 Einwohnern – ist ebenfalls eine Flussoase. Dort, wo der Hohe Atlas in die Sahara übergeht, nähren die Flüsse Oued Ziz und Oued Rheris seit vielen Jahrhunderten menschliches Leben. Das im 8. Jahrhundert als Handelszentrum gegründete Sidschilmasa ist zeitweise sogar Universitätsstadt gewesen, heute aber nur noch als fünf Meilen lange Ruinenstadt zu besichtigen.

 

Grundwasseroase: Ghout in Algerien, Drohnenaufnahme
Foto: OH
Ghout in Algerien

2. Grundwasseroase

Im Gegensatz zur Flussoase ist es bei der Grundwasseroase nicht ganz so offensichtlich, woher sie ihr Wasser bezieht. Doch meistens versteckt sich irgendwo ein Brunnen oder eine Pumpe, die dafür angelegt sind, das Niederschlags-Grundwasser aus der nächsten wasserführenden Schicht an die Oberfläche zu holen. Auch tiefere wasserführende Schichten werden mitunter angezapft und damit das fossile Grundwasser, das seit mindestens 10.000 Jahren keinen Kontakt mehr zum Oberflächenwasser gehabt hat, nach oben geholt. Da die Grundwasser-Nachbildung deutlich langsamer vor sich geht, führt das zu erheblichen Problemen: Neben den schnell verbrauchten Ressourcen (auf der arabischen Halbinsel rechnet man mit einer Erschöpfung in 60 bis 90 Jahren) führt diese Nutzung zur raschen Senkung des fossilen Grundwasserspiegels (bis zu 4 Meter pro Jahr); auch Landsenkungen sind die Folge.

In manchen Gegenden misstraut man den Brunnenschächten, die oft einsturzgefährdet sind, und gräbt lieber große und tiefe Mulden in den Sand. Besonders Algerien ist für seine trichterförmigen „Ghouts“ bekannt, die es den Palmenwurzeln ermöglichen, direkt an das Grundwasser heranzukommen. Während der Wind unentwegt Wüstensand in den Kessel weht, versuchen die Menschen, die Mulden in ihrer gewünschten Größe zu bewahren: Der Sand muss regelmäßig wieder herausgetragen werden – eine mühsame Sisyphos-Arbeit.

Eine Alternative: Man holt sich das Grundwasser von etwas weiter her, zum Beispiel von einem nahe gelegenen Gebirge. Auf einer Länge von bis zu 30 Kilometern baut man unterirdische Stollen, um das Wasser an den gewünschten Ort zu leiten und das Gefälle auszunutzen. Zwischendurch dienen senkrechte Luftschächte gleich mehreren Zwecken: Für Reparaturarbeiten kommt man zum einen besser an den Stollen heran. Zum anderen strömt heiße Wüstenluft hinein, kühlt ab und kondensiert – was willkommene Luftfeuchtigkeit verursacht. Außerhalb des nordafrikanischen Raums bezeichnet man diese so genannten Foggara-Stollen auch als Qanat oder Kanat. Um sich die Bedeutung dieser Bewässerungsmethode vor Augen zu halten: Allein im Iran waren zur Zeit des Perserreichs zwischen 40.000 und 50.000 Qanate gleichzeitig aktiv und führten dreimal so viel Wasser wie die heutige Elbe in Dresden.

 

Quellwasseroase in der Wüste Gobi, China
Foto: Sigismund von Dobschütz, CC 3.0
Quellwasseroase in der Wüste Gobi, China

3. Quellwasseroase

Kommt das Wasser allein an die Oberfläche, also in Form einer Quelle, die in der Regel einen See speist, spricht man von einer Quellwasseroase. Gebirge stauen Wolken auf und lassen sie abregnen; die Regenfälle versickern zunächst im Boden, bis sie auf eine wasserundurchlässige Schicht stoßen. Auf dieser fließen sie unterirdisch weiter bergab, bis sie an einer geeigneten Stelle zutage treten. Nicht nur Pflanzen siedeln sich hier gerne an; auch der Mensch freut sich über Zugang zu Frischwasser inmitten einer trockenen Region und kultiviert die Vegetation zusätzlich.

Um die winzige Fläche fruchtbaren Bodens optimal zu nutzen, wird im so genannten Stockwerkbau angepflanzt: Reis, Weizen oder Hirse werden als Futterpflanzen und Getreide im untersten Stockwerk angesiedelt. Darüber folgen niedrige Baumkulturen wie Feigen-, Granatapfel- oder Ölbäume. Die Dattelpalme, Symbol des Orients, das man klassischerweise mit Oasen assoziiert, thront über allen anderen Pflanzen.

 

Atacama Wüste Chile Nebel
Foto: shutterstock – nomadkate
Atacama-Wüste, Chile

4. Nebeloase

Die Atacama-Wüste in Chile liegt direkt an der Küste, ist aber dennoch die trockenste Wüste der Erde (von den Polargebieten mal abgesehen): Im Jahresmittel fällt hier nur ein Fünfzigstel der Regenmenge, die im Death Valley in den USA gemessen wird. Zum einen liegt sie im Regenschatten der Anden; zum anderen verhindert der kalte Humboldtstrom die Entwicklung von Regenwolken. Immerhin sorgt die Kälte für regelmäßigen Nebel, der an den steilen Felsküsten aufsteigt und ins Landesinnere zieht. Die Pflanzen wissen dies gut zu nutzen. Die Luftfeuchtigkeit ist für viele Flechten und Kakteen ausreichend, um Photosynthese zu betreiben – und sie helfen sich dabei: Die Flechten, die von den Kakteen hängen, fangen Nebel und Tau ein, der daran kondensiert und als Tropfen zu Boden fällt. So haben auch die umliegenden Pflanzen etwas davon.

Die Menschen haben sich daran etwas abgeschaut: Mit Hilfe vertikal angebrachter Kunststoffnetze versucht man den Nebel zu „fangen” und die kondensierten Wassertropfen zu sammeln. Mit 252 Quadratmetern Nebelfängern können täglich bis zu 1.500 Liter Wasser geerntet werden. Neben Chile ist ein solches System auch in Peru, Spanien und Israel in Verwendung. Der Ertrag dient übrigens nicht nur der Bewässerung von Pflanzen – sogar ein lokales Craft-Bier wird daraus gebraut, das so genannte „Atrapaniebla-Bier“, das Nebelfänger-Bier.

 

Taylor Valley in der Antarktis
Foto: Peter Rejcek, NSF (public domain)
Taylor Valley in der Antarktis

5. Antarktische Oase

Die antarktische Oase trägt die „Oase” zwar im Namen, gilt aber nicht als echte Oase. Sie bezeichnet einen größeren eisfreien Raum in der ansonsten vollständig vereisten Antarktis. Im Gegensatz zu den anderen Oasentypen zeigt das Thermometer hier sehr niedrige Temperaturen von weit unter null Grad an; trocken ist es trotzdem. Denn Wasser gibt es nur in Form von Eis, und dieses wird durch Gebirgsmassen von den Trockentälern abgeschirmt. Die jährlichen (!) Niederschlagsmengen liegen zwischen 3 und 50 mm. Wenn dann noch das bisschen Schnee von der Sonne geschmolzen oder von stürmischen Winden schnell weggetragen wird, sorgt das für einen steinigen, salzigen und ziemlich leblosen Boden. Außer ein paar Formen von Moosen und Flechten überleben bei diesen Bedingungen nur extrem angepasste Bakterien.

Damit gelten die antarktischen Oasen als lebensfeindlichste Orte der Welt – auch das unterscheidet sie von allen anderen Oasen, die ja kleine Paradiese inmitten einer unwirtlichen Umgebung sind. Neben allerlei Forschenden interessiert sich immerhin die NASA für die antarktischen Trockentäler, da ihre Struktur der Marsoberfläche sehr nahe kommt.