Zeitreise mit Dr. Gertrude Krombholz
Um die Geschichte des Seniorentanzes im Augustinum zu erzählen, muss ich etwas weiter ausholen. Ich habe eigentlich ab 1952 Sport für das Lehramt an Gymnasien an der Bayerischen Sportakademie Grünwald studiert, wo ich ab 1962 dann als Dozentin angestellt war. Durch den überraschenden Weggang einer Kollegin durfte ich bereits ein Jahr später die Leitung der Sportphilologinnen-Ausbildung übernehmen. 1973, nach den Olympischen Spielen, wurde die Sportakademie in die TU München eingegliedert, die als beinahe weltgrößtes Sportinstitut den Anspruch hatte, etwas Besonderes zu bieten. Da kam mir die Gymnaestrada in den Sinn, das weltgrößte Turnfest, das alle vier Jahre stattfindet. Der Slogan 1975 lautete: „Turnen – Freizeitsport für alle”, den ich in „Tanzen – Freizeitsport für alle” für die TU München abwandelte. Mir ist es immer schon ein großes Anliegen gewesen, Gemeinschaft zu fördern und integrativ zu arbeiten, sodass ich dieses „für alle” sehr wörtlich nahm: Unter den 128 Teilnehmenden waren Kinder ab sechs Jahren, Studierende, aber auch Seniorinnen und Senioren bis 83. Auch 14 Tanzende in einem Rollstuhl waren dabei.
Aber bis dahin war es ein langer Weg. Denn woher sollte ich so viele ältere Menschen bekommen, die sich fürs Tanzen begeistern? Hier kommt das Augustinum ins Spiel. Im Theatersaal des Augustinum München-Nord startete ich eine wöchentliche Tanzstunde, die von der TU medizinisch begleitet wurde. Denn Tanzen mit älteren Menschen war etwas ganz Neues, und man wollte auch sichergehen, dass es keine negativen, sondern vielleicht sogar positive gesundheitliche Auswirkungen hatte! Auch für Ärzte und Ärztinnen gab ich übrigens Fortbildungsseminare, um sie von dieser damals sehr progressiven Idee zu überzeugen. Die Teilnehmenden selbst brauchte ich nicht zu überreden: Die waren von Anfang an mit Begeisterung dabei.
Dr. Gertrude Krombholz lebt seit 2006 im Augustinum Dießen und bezieht seit 1975 Seniorinnen und Senioren sowie Beeinträchtigte in ihre Tanzveranstaltungen ein. Mit ihrem Inklusionsgedanken ist sie ihrer Zeit immer weit voraus gewesen und dafür mit etlichen nationalen Ehrungen und dem seltenen Paralympic Order des International Paralympic Committee ausgezeichnet worden.
Im Juli 1975 war es dann so weit: Zwölf Tänzerinnen und Tänzer aus München-Nord, vier aus München-Neufriedenheim durften nach Berlin auf die Gymnaestrada fahren. Dem war eine Unmenge an Organisation und Logistik vorausgegangen, denn insgesamt 128 Teilnehmende mussten ja auch versorgt werden. Und nicht zuletzt: auch untergebracht, was mit 14 Personen im Rollstuhl zu der damaligen Zeit nicht so einfach war. Dafür musste ich enorme Sponsorenmittel eintreiben. Zum Glück konnte ich Pfarrer Georg Rückert von meinem Projekt überzeugen; er und seine Frau Gertrud waren sogar hellauf begeistert und stellten 7.000 Mark zur Verfügung, um den Bus, die Unterkunft, eine Begleitung und sogar eine Krankenschwester zu bezahlen, die sich um das Wohl der Älteren kümmern sollte. Damals galt das ja noch als gewagtes Unterfangen. Zur großen Freude aller wurde unsere Gruppe am Ende als beste ausgezeichnet – und das unter 20.000 Teilnehmenden. Die Begründung der Jury lautete, dass wir mit unserer Idee, Kinder, Ältere und Rollstuhlfahrende miteinzubeziehen, der Zeit 20 Jahre voraus wären. Ach was, heute würde ich sagen: 50 Jahre waren wir ihr voraus!
Jedenfalls war die Gymnaestrada der Startschuss für regelmäßige Tanzstunden im Augustinum München-Nord, die ich 20 Jahre lang ehrenamtlich durchführte. 1995 hat diese meine ehemalige Studentin Sonja Fuchs-Roxlau übernommen und zwölf Jahre lang geleitet, da ich inzwischen Leitende Akademische Direktorin der Sportlehrerausbildung geworden war und mir die Vormittage nicht mehr freinehmen konnte.
2006 bin ich schließlich selbst nach einem Unfall ins Augustinum eingezogen – in Dießen. Hier existierte bereits seit 1990 eine Tanzgruppe unter der Leitung von Ilka Thienelt („Tänze aus aller Welt”), und ich wollte keine Konkurrenzveranstaltung eröffnen. Doch nachdem ich eine Dame mit Rollator spontan einen Tango habe tanzen sehen, dachte ich mir: Warum nicht? Also bot ich den Rollator-Tanz fürs Augustinum Dießen an, auch das viele Jahre bis 2025. Im Moment zwingen mich gesundheitliche Probleme zu pausieren – aber das 50-jährige Jubiläum habe ich auf jeden Fall voll gemacht.