Wissenswert
Menschen sind verschieden; sie unterscheiden sich in Charakter, Vorlieben, Stärken und Schwächen, und dies kann dank unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung
auch von allen individuell ausgelebt werden. Nichtsdestotrotz gibt es Situationen im Leben, in denen man sich im Sinne eines gesellschaftlichen Miteinanders in eine Gemeinschaft einordnen muss, in der es Regeln gibt. Angefangen in der Kleinfamilie, weiter in Kindergarten, Schule, Ausbildung und Beruf gilt es, seinen Platz zu finden, in einem sozial adäquaten Miteinander. Aber was passiert, wenn jemand „aus der Reihe tanzt“? Positiv betrachtet kann es wichtig sein, wenn es darum geht, für Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden in der Gesellschaft einzustehen. Was wäre die Welt ohne Martin Luther, Bertha von Suttner oder Nelson Mandela?
Wendet man sich der negativen Betrachtung des „aus der Reihe Tanzens“ zu, landet man schnell bei Verhaltensauffälligkeiten. Diese beziehen sich stets auf das in einer bestimmten Gesellschaft erwartete „normale“ Verhalten. Sind diese langanhaltend, wiederkehrend und nicht altersentsprechend, liegt laut Definition der ICD-10* eine Verhaltensstörung vor. Wir sprechen in diesem Zusammenhang bei Kindern und Jugendlichen von sozial-emotionalem Förderbedarf. Diese Bezeichnung zeigt im positiven Sinn: Es gibt Möglichkeiten, die damit lebenden Menschen zu fördern und sie in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen. Der Förderbedarf lässt sich aufgrund der Vielschichtigkeit des jeweiligen Schweregrads nicht pauschalieren.
Zum Verstehen nähern wir uns über den pädagogischen Fachbegriff an: Ein sozial-emotionaler Förderbedarf tritt bei Kindern und Jugendlichen auf, die durch ihre bisherigen
Erfahrungen im Leben Trauma, Stress, ein herausforderndes Elternhaus erlebt oder genetische Anlagen mitbekommen haben. Die Ursachen können also psychisch, sozial, familiär oder genetisch bedingt sein. Verhalten ist immer komplex und eine Kombination verschiedener Hintergründe. Emotionalität und Sozialität, die Sozialnatur des Menschen zur Gruppenbildung, stehen in einer gegenseitigen Wechselbeziehung. Die emotionale Kompetenz, also der Zugang zu und Umgang mit eigenen Gefühlen, ist die Basis für die soziale Kompetenz, sprich die Fähigkeit mit den Bedürfnissen anderer Menschen umzugehen.
Grob einteilen lassen sich vier Ausprägungen von sozialemotionalem Förderbedarf: sozial nach außen gerichtet mit Aggressionspotenzial und Regelignoranz, emotional nach
innen gerichtet mit Angst- und Depressionspotenzial, sozialunreif mit Konzentrationsschwäche und Sprachstörung sowie sozial-delinquent mit Verantwortungs- und Reuelosigkeit.
Das Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl der Kinder und Jugendlichen durch Ermöglichung von positiven Erfahrungen zu fördern, steht im Mittelpunkt. Das Erlernen von Strategien im Umgang mit stressigen, überfordernden Situationen wird vermittelt, indem die Selbstregulation der jungen Menschen gestärkt wird und man ihnen alternative Handlungsweisen aufzeigt. So werden die Grundqualifikationen für soziales Handeln gefördert: Soziale Sensibilität, Regelverständnis, Frustrationstoleranz, Toleranz und Rücksichtsnahme gegenüber Anderen sowie Kontakt- und Kooperationsbereitschaft sind dafür entscheidend.
Laut einer Umfrage von Statista aus dem Jahr 2022 zeigt sich, dass der Förderbedarf für soziale und emotionale Entwicklung hinter dem Förderschwerpunkt Lernen bei Kindern und Jugendlichen den zweiten Platz einnimmt. 17,6 Prozent der Schüler*innen wiesen einen Förderbedarf in der sozialemotionalen Entwicklung auf. Seit dem Jahr 2013 hat sich dieser Bedarf kontinuierlich erhöht. (Vgl. Statista 2024**).
Durch die nicht sichtbare physische Erscheinungsform des Förderbedarfs, der sich abgesehen von somatischen Auswirkungenoft nur im Verhalten zeigt, ist die Diagnose und die Sichtbarmachung nach außen herausfordernd. Umso mehr gilt es, sich für die Belange der Menschen mit sozial-emotionalem Förderbedarf stark zu machen. Nicht jede*r bekommt einen Platz in einer entsprechenden Förderschule wie unserem Landschulheim Elkofen oder erfährt ausreichend Unterstützung in der Regelschule. Beispiel für ein solches Engagement ist der Erika-Hering-Stiftungsfonds im Augustinum, mit dessen Erträgen zuletzt die neue Turnhalle in unserem Landschulheim Elkofen unterstützt worden ist.
*10. Version der Internationalen statistischen WHO-Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme
** de.statista.com/statistik/daten/studie/1262509/umfrage/schueler-mitfoerderbedarf-nach-foerderschwerpunkten/