Der verschwundene Ring

Menschen

1965 engagierte sich Cordelia Koppitz als Freiwillige im Augustinum München-Neufriedenheim, heute lebt sie im Augustinum Freiburg. An die Zeit als “Phila” erinnert sie ein besonderes Schmuckstück.

Cordelia Koppitz erzählt: “Als in den frühen 60er-Jahren Pfarrer Georg Rückert das Augustinum gründete, hatte seine Frau Gertrud Rückert eine weitere Idee, wie man das Leben im Alter gestalten könnte. Sie fand nämlich, dass Jung und Alt nicht getrennt leben sollten, sondern sich austauschen können. Das “Philadelphische Jahr” war geboren.

Philadelphia ist Griechisch, und wir übersetzen es heute mit geschwisterlicher Zuwendung. Das Augustinum lud junge Menschen ein, die gerade ihr Abitur bestanden hatten und noch nicht wussten, was sie studieren wollten. Sie konnten ein Jahr in der neu gegründeten Seniorenresidenz Augustinum München-Neufriedenheim ihren Dienst tun. Dafür gab es ein monatliches Taschengeld, sowie freie Kost und Logis. Vor allem aber bestand der Lohn darin, dass freie Unterbringung und Verpflegung noch zwei weitere Jahre im Augustinum garantiert waren. Schon damals war es nämlich in München nahezu unmöglich, eine bezahlbare Wohnung zu finden, und so war das ein wirklich guter Anreiz. Viele junge Menschen taten ihren Dienst in der Seniorenresidenz, und eine davon war ich.

Wir kamen alle frisch von der Schulbank und wurden ins kalte Wasser geworfen. Uns erwartete auf einmal Verantwortung: Wir wurden in der Küche, im Gesundheitsbereich, an der Rezeption und vielen anderen Arbeitsbereichen eingesetzt. Es war eine unglaubliche Erfahrung! Keine von uns hatte ja Ahnung vom Arbeitsleben – für uns war alles “Learning by doing”. Wir “Philas”, wie wir genannt wurden, waren stolz auf unsere Arbeit. Und Frau Rückerts Konzept, Jung und Alt zusammenzubringen, war offensichtlich erfolgreich, und es entstanden viele Freundschaften.

Der Ring war immer mit dabei

Am Ende des Philadelphischen Jahrs bekam jede von uns einen goldenen Ring mit dem eingravierten griechischen Buchstaben Phi über einem Halbedelstein, der jedes Jahr eine andere Farbe hatte. Später auf der Universität erkannte man eine andere Phila sofort am Ring, auch wenn man sich nie zuvor begegnet war. Der Ring begleitete mich über viele Jahrzehnte; bei allen neun Umzügen - selbst über den Atlantik - war er bei mir. 2016 beschlossen mein Mann und ich, ins Augustinum Freiburg zu ziehen. Ich freute mich schon darauf, den Ring zu zeigen, schließlich bedeutete er ja auch, dass es geradezu vorherbestimmt war hier einzuziehen.

Nachdem wir in unserer neuen Wohnung alles eingeräumt hatten, wollte ich meinen Ring aus der Schmuckschatulle nehmen – aber ausgerechnet der Philaring fehlte! Dabei gab es doch nur zwei Orte, wo er sein konnte: an meinem Finger oder in der Schmuckschatulle! Ich durchsuchte alles, aber er blieb verschwunden. Drei Jahre lang glaubte ich traurig, dass ich ihn verloren hätte.

Doch vor einigen Wochen suchte ich etwas in einer Kiste und schüttelte ein paar Kleidungsstücke aus – da lag mein Ring! Ganz unschuldig, als ob er nur auf mich gewartet hätte, lag er auf dem Boden der Kiste. Welche unglaubliche Freude! Ich steckte ihn mir sofort an den Finger – und ich werde ihn ganz gewiss nicht noch einmal verlieren!”

Im Bild: Cordelia Koppitz und ihr Mann. Foto: privat